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Pro Wand ein Gesang – Der Odyssee-Zyklus in der Münchner Residenz
Obwohl das Interesse der bildenden Kunst an Homer und seinen Epen im 18. und 19. Jahrhundert merklich zunahm, besaß der von Ludwig Michael Schwanthaler (1802–1848) entworfene und von dem Historienmaler Johann Georg Hiltensperger (1806–1890) ausgeführte Odyssee-Zyklus in der Münchner Residenz, dem sich Matthias Memmel widmet, Einzigartigkeit innerhalb des deutschen Klassizismus. Nach genauen Vorstellungen von König Ludwig I. von Bayern entstand in sechs aufeinander folgenden Räumen eine wandfüllende, Gesang für Gesang abhandelnde Illustration der literarischen Vorlage Homers in antikisierendem Stil. Die Vorgabe, dass auf jeder Wand nur ein Gesang dazustellen sei und dies in genau jener Abfolge wie in den Gesängen des Epos, schränkte die künstlerische Freiheit Schwanthalers bei der Umsetzung empfindlich ein. Nach der Fertigstellung 1865 fanden die Münchner Odyssee-Säle keinen breiten Widerhall, sondern ernteten – mit Blick auf die Prinzipien der epischen Malweise etwa eines Peter Cornelius sowie die exzessive Kunstpolitik Ludwigs – vehemente Kritik. Augenscheinlich hatten sich die Bewertungskriterien für das ambitionierte Vorhaben in den fast 50 Jahren seiner Entstehung gewandelt. Schließlich dienten die Räume als Magazin; die während des Zweiten Weltkrieges beschädigten Wandmalereien wurden nach Kriegsende abgeschlagen. Nichtsdestotrotz lässt sich dieser in seinem Anspruch singuläre Odyssee-Zyklus, dem in der Forschung kaum Aufmerksamkeit zukam, anhand Originalzeichnungen Schwanthalers, eines Fotoalbums und anderer Quellen eindrucksvoll erschließen, wie Memmel zeigt.